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Im Gespräch mit Alia Bayazeed Ismail

von Virginia Apel

Alia Bayazeed Ismail ist eine außergewöhnliche Frau – eine ezidische Frau, eine Idealistin und dazu eine Prinzessin. Vor zehn Monaten ist Alia nach Deutschland umgezogen mit einer bescheidenen Anzahl von Koffern, aber einer großen Menge an Bücherkisten, Manuskripten und Lebensenergie.  Wir sind geehrt, Alia als neues Mitglied der Ezidischen Akademie e.V. Hannover zu begrüßen.

Alias Geschichte ist geprägt durch die lange und faszinierende Vergangenheit ihres Volkes und entfaltet sich jetzt in dessen unsicherer Zukunft im Nahen Osten und im Exil.  Sie wurde geboren in Bagdad in eine, aus religiösem Sicht, ur-fürstliche  Familie, und Alias Vater legte viel Wert auf Bildung für seine Kinder.  Alia wurde, als erste von drei Schwestern, die allererste ezidische Frau, die einen Universitätsabschluss erhielt.  Im Jahre 1979 bekam sie in Bagdad ein Diplom in Jura – als vierte in ihrem Jahrgang und Gewinnerin mehrerer Preise für hervorragende akademische Leistung.  Danach führte sie eine Rechts¬anwalts¬praxis in Bagdad, wobei sie auch als rechtlicher Berater des ersten irakischen Parlaments tätig war; sie hatte sich u. a. auf Frauenrecht spezialisiert. Im Laufe ihrer Karriere nahm sie an zahlreichen Konferenzen teil, hielt Vorträge und vollzog eine moderne Kodifizierung ezidischen Rechts. Mit Führerschein und einem hoch aktivem Berufsleben war Alia ein Vorbild für Frauen im neuen „freien“ Irak.

Aber plötzlich kam ihre Karriere zum Ende. Kurz bevor sie in Bagdad als Richterin auftreten sollte – eine große Ehre und neue Herausforderung – starb Alias Mann.  Nach ezidischer Tradition darf eine Witwe – insbesondere eine Frau ihres sichtbaren Sozialstatus – nicht mehr in der Öffentlichkeit auftreten. Und daraufhin zog sie sich notgedrungen zurück in den Familienpalast in Shikahn, um 12 Jahre lang isoliert und beruflich untätig weiter zu leben. Das war, was Alia ihre „Gefangenschaft“ nennt.

Frauen im Ezidentum haben heute noch eine fest begrenzte Rolle in der Gesellschaft, die sich erst jetzt nur langsam ändert.  Auch Alias Tochter Sarah, die ebenfalls in Hannover zu Hause ist, wurde nicht ohne heftigen Widerstand von Verwandten akademisch gefördert. Dank des Engagements ihrer Mutter ist Sarah jetzt geprüfte Englisch-Dolmetscherin, auch glücklich verheiratet, und Mutter eines reizenden – und sehr lebhaften – Mädchens.

Eine Frage: „War die US Invasion gegen Sadam Hussein eine erfolgreiche Maßnahme?  Wird Irak sich irgendwann davon erholen können?“  Alia: „Sie müssen verstehen, wir waren wie Kinder. Alle Entscheidungen wurden für uns gemacht.  Unter Sadam Hussein waren wir nicht frei, aber wir waren im Vergleich zu jetzt freier. Alle waren dem gleichen Herrscher gehorsam und die gleichen Regeln galten für alle. Christen, Eziden und Saabianen hatten damals mehr Rechte und mehr Schutz. Heute  kämpfen viele Parteien um die Macht.  Jetzt müssen wir für uns selber denken und das ist schwer, nachdem man so lange unterdrückt wurde.  Demokratie ist nicht einfach. Sie entsteht nicht über Nacht. Die Lage der nicht muslimischen Minderheiten hat sich auf jeden Fall erheblich verschlechtert.“

Einige der erschütternden Geschehnisse in der ezidischen Gegenwart hat Alia hautnah erlebt, z.B. den Angriff von muslimischen Demonstranten 2007 in Shikahn auf ihren Familienwohnsitz. In Angst und Leiden ist sie erfahren. Im Schicksal ihres Volkes ist sie tief verwurzelt. Alia ist eine wertvolle – und dazu ausgesprochen moderne – Zeitzeugin ihres Landes und wurde von inter¬nationalen Journalisten aufgesucht, um das Bild ihrer Heimat abzurunden. Die amerikanische Filmjournalistin Gwendolyn Cates hat 2010 in ihrem Dokumentar¬film „Mourning in the Garden of Eden“ Alias Schicksal im Licht der akuten humanitären Krise im heutigen Irak geschildert. Auch im Jahr 2010 hat Victoria Fine für das amerikanische „Tiziano Project“ einen sehr informativen Artikel über Alia und die ezidische Kultur geschrieben: „Yazidis: Power and Peril“, der zu lesen ist unter:    http://www.reports.tizianoproject.org/2010/08/yazidis.html

Während ihrer Isolation in Shikahn hat Alia die Zeit benutzt, um die wenig dokumentierte ezidische Religion zu erforschen. Diesem und vielen anderen Themen hat sie sich gewidmet und Alia will jetzt in ihrer neuen Freiheit ihre schriftliche Arbeit ins Englische und Deutsche übersetzen.  Menschenrechte sind ihr ein dringendes Anliegen, so wie die Erfahrungen von Asylbewerbern – wie sie selbst – hier in Europa.  Zur Hilfe stehen ihr jetzt Mitglieder der Ezidischen Akademie: Jenny Thomsen, Perisan Ciner und Virginia Apel, besonders im Gebiet der Frauenrechte.  Im Gebiet Religion warten wir gespannt auf ihre Schriften und auch auf eine eventuelle Zusammenarbeit mit anderen, die ihre Kenntnisse über dieses uralte Kulturgut teilen und gemeinsam dem Westen präsentieren möchten.

Virginia Apel, Hannover den 1. August 2011

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1 Ihre Artikel sind alle im Internet unter „Modern Discussion“  auf Arabisch zu lesen: http://www.ahewar.org/eng/main.asp.

2  http://www.reports.tizianoproject.org/2010/08/yazidis.html