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Brautgeld in der Diskussion

von Hayri Demir

Schon seit längerer Zeit sind Diskussionen aufgekommen, die sich mit dem Thema des Brautgeldes beschäftigen. Zu Stande gekommen sind diese Diskussionen, weil der oft geforderte Brautpreis mittlerweile derart hohe Beträge aufweist, die die 10.000€- Marke bei weitem überschreiten. Auch im Vorfeld dieser Veranstaltung gab es Diskussionen, die hauptsächlich im Internet stattgefunden haben. Zwar waren viele für unsere Initiative, doch gab es auch kritische Stimmen, die sich aufgrund von Missverständnissen gebildet haben. Damit diese Initiative und auch diese Veranstaltung nicht falsch verstanden wird, werde ich unseren Standpunkt, das heißt den Standpunkt der Ezidischen Jugend, zum Brautgeld erläutern und dabei auf die Kritik eingehen:

Am häufigsten wurde uns vorgeworfen, wir würden versuchen eine êzîdîsche Tradition abzuschaffen. Dazu kann ich nur sagen, dass die Initiative nicht umsonst den Namen „Regulierung“ trägt. Das  Brautgeld in der heutigen Form ist keine Tradition, sondern widerspricht den êzîdîschen Lehren. Es geht auch nicht um das Gold, dass der Braut traditionell überreicht wird, oder um das Geld für das Brautkleid der Braut oder Ähnliches. Es geht hier nur um das Geld, dass der Vater zur Eheschließung seiner Tochter von den Eltern des Bräutigamas verlangt.

In den Heimatsgebieten wurde als Brautgeld oft Nutzvieh wie Schafe und Ziege, manchmal auch ein Stück Acker vereinbart. Dass man in Deutschland mit einem Schaf nicht viel anfangen kann ist verständlich, und deshalb der Übergang zu Geld auch nachvollziehbar. Nicht nachvollziehbar ist allerdings die Entwicklung. Diese Entwicklung hat die Tradition in ein schlechtes Licht gerückt und ist somit in seiner heutigen Form keine Tradition mehr. Gegen diese Entwicklung wehrt sich die Ezidische Jugend zunehmend. Es geht uns also nicht darum, das Brautgeld abzuschaffen, was uns wohl auch nicht so schnell gelingen würde, sondern wieder zurückzukehren auf ein gesundes Maß. Die heutige Praktizierung des Brautgeldes ist reiner Kapitalismus und hat nichts mit der êzîdîschen Religion zu tun.

„Wir hätten keine Ehre vor der Frau“ hieß es auch oft von selbigen, die glaubten wir wollen das Brautgeld abschaffen. Was immer auch Ehre in diesem Zusammenhang bedeuten mag. Der Wert einer Frau ist nicht in Geld messbar und auch kein Indikator dafür. Beim Brautgeld geht und darf es nicht um den Status einer Frau gehen, denn dafür ist es nicht vorgesehen.

Das Brautgeld an sich ist eine Tradition, eine die auch religionsübergreifend im kulturellen Umfeld der Êzîden praktiziert wird. Es ist aber keine religiöse sondern eine kulturelle Tradition. Das Brautgeld hat eine sehr lange Geschichte. Schon vor fast 4.000 Jahren wurde in Babylon im Codex Hammurabi die Höhe des Brautgeldes geregelt (1). In der Bibel genauer im 2. Buch Mose und auch im Talmud wird der Brautpreis erwähnt, was im Êzîdentum nicht der Fall ist. Was nicht bedeuten soll, dass das Christen- und Judentum hier irgendwie schlecht dargestellt werden sollen. Ich möchte nur aufzeigen, dass das Brautgeld keine spezifisch êzîdîsche Angelegenheit ist, sondern wie schon erwähnt kulturell bedingt ist. Wie eben schon von Mejdîn bereits erwähnt wurde, wird das Brautgeld auch in afrikanischen und arabischen Ländern praktiziert.

Das Brautgeld war ursprünglich dafür gedacht, der Mutter der Braut für ihre Bemühungen zu danken. Das heißt dafür, dass sie das Kind von klein auf großgezogen hat, mit all den Schwierigkeiten und Hindernissen die es gibt. Im Kurdischen ist daher die Sprache von „Şîrê Dayîkê“, also als Dank und Anerkennung für die Muttermilch. Auch heute hat eine Mutter unseren großen Respekt verdient, dass sie neben schmerzlichen Qualen, die sich wohl kein Mann vorstellen kann, ein Kind gebärt und erzieht. Deshalb hat die Frau im Êzîdentum auch eine besondere Stellenwert, wie in mehreren Gebeten deutlich wird. Leider wird diese Stellung von vielen Männern noch immer nicht verstanden. Dies hat insbesondere mit dem fehlenden Wissen um die êzîdîsche Religion zutun. So ist es dazugekommen, dass die Eltern glaubten und immer noch glauben, die Höhe des Brautgeldes würde den Wert ihrer Tochter widerspiegelt. Die wahre Bedeutung wird dabei völlig außer Acht gelassen. Von einer Tradition kann also nicht mehr die Rede sein.

Ich verstehe, dass die Eltern nicht ohne Weiteres ihre Tochter in die Hand eines Anderen geben möchten. Das ist auch richtig, aber es geht hierbei in erster Linie um das Wohlergehen derjenigen, die sich zu einer Eheschließung entschlossen haben. In welcher Relation steht dabei das Brautgeld? Das Brautgeld ist oft der Grund, dass Streitigkeiten erst entstehen, dass Familien sogar vor Gericht ziehen, dass das Verhältnis zwischen den Familien gestört ist oder es in manchen Fällen erst gar nicht zu einer Heirat kommt und das ohne das angehende Paar zu befragen, was eine absolute Sünde im Êzîdentum darstellt.

Beim Brautpreis hat sich in der êzîdîschen Gemeinschaft eine eigene Dynamik innerhalb der einzelnen Familienverbände bzw. den Dörfern entwickelt. So kommt es, dass Dorfmitglieder unter sich einen bestimmten, meist sehr viel niedrigeren Betrag als sonst verlangen. Auch geografische Unterschiede scheinen manche Eltern zu veranlassen, mehr Geld zu verlangen. Kommt die Braut nicht aus dem Umfeld der Familie, so wird der Betrag höher als im umgekehrten Fall. Dies führt dazu, dass die Êzîden das Vertrauen ineinander verlieren und die êzîdîsche Gemeinschaft an Einheit. Und das darf nicht sein. Bei dem Brautpreis sollte es lediglich darum gehen, ob der angehende Mann bzw. Bräutigam die Voraussetzungen für eine Ehe mit sich bringt und nicht darum, aus welchem Dorf oder welcher Stadt er kommt. Êzîde ist Êzîde und dabei ist kein Unterschied zwischen Dênwanîs, Xaltîs, Mihokîs, Xetarîs, Merwanîs zu machen. Es geht hierbei darum, dass Êzîdentum am Leben zu erhalten und da sollten solche unwichtigen Aspekte keine Rolle spielen.

Einige waren auch der Meinung, dass durch den Wegfall des Brautpreises es den Männern ermöglicht wird, so oft zu heiraten wie sie möchten. Dazu kann ich nur sagen, dass ich der Meinung bin, dass eine Frau nicht jeden dahergelaufenen heiraten wird, soviel traue ich unseren Frauen alle Male zu. Außerdem hab ich schon betont, dass es nicht darum geht, das Brautgeld abzuschaffen, sondern es zu regulieren.

Viele empfanden es als peinlich, dass wir mit solch einer Veranstaltung an die Öffentlichkeit gingen. Dabei ist das Brautgeld schon längst vor dieser Veranstaltung zu einem journalistischen und juristischen Thema geworden. Auf etlichen Rechtsportalen wurde der Fall zweier êzîdîscher Familien publik, mit dem Urteil, dass nach der Scheidung kein Anspruch auf die Rückzahlung des Brautgeldes besteht.

Dieser Fall und auch das Urteil wurden unter anderem im Spiegel abgedruckt und sind auf etlichen Rechtsportalen nachlesbar.

2009 beschloss der hohe êzîdîsche Rat unter der Führung des weltlichen Oberhauptes Mîr Thasîm und dem religiösen Oberhaupt Bavê Şêx Xeto, deren Beschlüsse für alle Êzîden absolute Verbindlichkeit haben, dass das Brautgeld nicht höher sein darf, als der Wert von 71 Gramm   Gold, was ca. 2000€ beträgt. Das Brautgeld, dass hier in Deutschland von Êzîden allerdings verlangt wird, ist oft das 12 Fache und in manchen Fällen noch sehr viel höher.

Schon Jahre zuvor hatte Mîr Tahsîm in einem Interview mit Dengê Êzîdîyan also dem Yezidischen Forum in Oldenburg die Problematik des Brautgeldes erwähnt und es unter anderem als ein „vergehen am êzîdîschen Volk“ bezeichnet (2). Die mit unter höchste êzîdîsche Autorität verurteilt das überhöhte Brautgeld. Dennoch wird es von vielen praktiziert, die sich im selben Zuge stolze Êzîdî nennen.Dabei ist es eine Grundpflicht eines gläubigen Êzîdî, den Beschlüssen des êzîdîschen Rates folge zu leisten. Auch erklärte Mîr Thasîm im selben Interview dass „ Die yezidischen Mädchen […] gegenüber den yezidischen Jungen nicht benachteiligt werden [dürfen]“. Aber auch dies wird in Deutschland von vielen männlichen Êzîden mit der Vorstellung es sei durch die Religion legitimiert betrieben, obwohl es in keiner weise der Fall ist.

Wir, die Ezidische Jugend fordern daher, dass die Thematik des Brautgeldes neu überdacht wird. Es ist dabei sehr wichtig, dass alle Generationen miteinander zu einer Lösung finden.

Wir sind dafür, dass die Eltern der Braut es dem angehenden Bräutigam ermöglichen, das Brautgeld selbst zu zahlen. Hierbei sollte es sich um einen Betrag handeln der im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten des Bräutigams steht. So muss von den Eltern der Braut gemäß ihrer Fürsorgepflicht darauf geachtet werden, inwiefern der Bräutigam überhaupt in der Lage ist, für ihre Tochter zu sorgen. So kann auch verhindert werden, dass zu früh geheiratet wird und aufgrund dessen es zu vermehrten Scheidungen kommt.

Einem Mann wird es nach einer Scheidung einfach gemacht, doch die Frau hingegen steht als große Verliererin dar und dass darf nicht der Fall sein. Deshalb ist die Beste Vorsorge die Prävention. Daher sollte besonders dieser Aspekt von den Eltern der Braut beachtet werden und nicht bloß ein hoher Betrag gefordert werden, der solch eine Sicherung nicht garantiert.

Ich möchte mein Brautgeld selbst zahlen, denn ich als Bräutigam muss zeigen, dass ich es mit der Heirat ernst meine. Ich möchte zeigen, dass ich bereit bin, auch etwas dafür zu tun und nicht mein Vater. Aber wie soll ich 20,25,30 tausend oder noch mehr Euro sparen? Unmöglich ist es nicht, aber mit 40 oder 50 zu heiraten ist auch nicht die beste Lösung und êzîdîsch ist es auch nicht.

Als gläubige Êzîden sollten wir uns dem Urteil des hohen êzîdîschen Rats anschließen und fordern die Umsetzung derer Beschlüsse.

Die Frage ist, wie können wir das Erreichen? Wir haben es bereits in dem Untertitel dieser Veranstaltung geschrieben, in der es heißt: „Gemeinsam durch Aufklärung zum Ziel“. Denn wie wir bemerkt haben, glauben die Meisten es sei ein êzîdîscher Brauch und geben sich deshalb mit dem geforderten Brautgeld ab. Dies ist aber nicht der Fall und wenn das verstanden wird, wird sich auch die Haltung diesbezüglich ändern. Ein gläubiger Êzîdî soll sich die Frage stellen, wieso er so eine extreme Summe zahlen soll, wenn er um die Hand einer Êzîdîn anhält und alles den êzdîschen Lehren entspricht. Wozu dann dieses Brautgeld?

Paare, die heiraten möchten aber der Bräutigam überhöhtes Brautgeld zahlen soll, sollten sich an Würdenträgern wie Pêşîmam Şêxmûs richten, die die Beschlüsse des Civata Rûhanî vollstrecken und zwischen den Familien interagieren können.

Die Zukunft wird von der Jugend gestaltet, so hängt auch das Überleben der êzîdîschen Religion, mit all ihren Werten und Normen, daran. Der leider verstorbene Prof. Dr. Gernot Wießner machte dies in einem Interview mit Dengê Êzîdîyan als Voraussetzung für das weitere Bestehen der êzîdîschen Religion klar (http://www.yeziden.de/yeziden_theolog.0.html). Es ist also unsere Aufgabe, die êzîdîschen Werte an die Jugend weiterzugeben und dazu gehört das Brautgeld in seiner heutigen Form definitiv und ausdrücklich nicht. Dies wurde und wird von Mîr Thasîm selbst bestätigt. Auch gehört dazu, dass wir unseren Frauen die gleichen Rechte einräumen, wie unseren männlichen Mitgliedern. Alles andere ist gegen unsere êzîdîschen Werte, die so oft verkannt werden. Deshalb können wir nur durch Aufklärung dafür sorgen, dass wir diese Ziele erreichen.

Zum Abschluss kann ich nur eines besonders betonen:

Diese Veranstaltung heute dient maßgeblich dazu ein Umdenken innerhalb der ezidischen Gemeinschaft auszulösen und die ältere Generation damit zu konfrontieren, dass derart hohe Brautgelder nicht im Sinne des Ezidentums sind und den nachfolgenden Generationen hierdurch ein großer Nachteil entsteht. Wir, die ezidische Jugend, wollen und können derartige Fehlinterpretationen des Brautgeldes und auch der êzîdîschen Religion nicht hinnehmen. Wir wollen mit einem sicheren Gefühl an unsere Zukunft denken und uns nicht mit dem Gedanken, dass unsere Religion aussterben könnte, plagen. Solche Gedanken verhindern den Fortschritt der êzîdîschen Religion und demotivieren. Wir wollen, dass die Regulierung des Brautgeldes in jeder ezidischen Familie begrüßt und angenommen wird.

Ich hoffe im Namen der Ezidischen Jugend, dass auf diese Veranstaltung weitere folgen werden und unsere Jugendlichen sich dieser Thematik bewusst werden.

Wer weiterhin der Meinung ist, dass das derzeitige Brautgeld erhalten bleiben muss, der kann nicht von sich behaupten, ein gläubiger Êzîdî zu sein.
Wir müssen zurückkehren auf ein normales Maß, sowohl was das Brautgeld angeht, als auch im Umgang miteinander. Unser Problem ist nicht, dass wir uns nach Traditionen richten, sondern dass wir es nicht tun.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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1 M. Jursa, Die Babylonier“, C. H. Beck Wissen, München 2004

http://www.yeziden.de/interview_operhaupt.0.html