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Die Yezidi und ihre asylrechtlige Behandlung in Deutschland

Teil 4: Yezidi aus Irakisch-Kurdistan

von Johannes Düchting

Gegenüber den Yezidi aus dem Irak ist die Praxis der deutschen Asylbehörden von einem ständigen Hin und Her gekennzeichnet. Bis zum Golfkrieg des Jahres 1991 beantragten kaum Yezidi aus dem Irak Asyl in der Bundesrepublik. Zu schwierig war es, aus der abgeriegelten Saddam-Diktatur zu fliehen und nach Deutschland zu gelangen. Die wenigen Yezidi, die es dennoch schafften, wurden zumeist als Asylberechtigte anerkannt; Grund für die Anerkennung war aber nicht die Religionszugehörigkeit, sondern zumeist bereits die Tatsache, dass die Saddam-Diktatur die illegale Ausreise als schweres Verbrechen wertete und man allein deswegen Gefahr lief, bei einer Rückkehr wegen Landesverrates umgebracht zu werden.

Zu einer anderen Sichtweise kamen die Asylbehörden und Gerichte erst im Anschluss an den Golfkrieg und der Etablierung der kurdischen Selbstverwaltungsgebiete. Asylanträge von Yezidi aus den Gebieten stammten, die unter kurdischer Selbstverwaltung standen, wurden zumeist abgelehnt. Da allerdings nur wenige Yezidi aus diesen Gebieten flohen, war hier die Zahl der Ablehnungen relativ gering.     

Aber auch bezüglich der Yezidi, die im Irak im Herrschaftsgebiet der Saddam- Diktatur lebten, gingen die deutschen Verwaltungsgerichte davon aus, dass diese keiner Verfolgung unterlagen. Fast ausnahmslos urteilten die Gerichte, dass Kurden yezidischen Glaubens „im Irak keine politische Verfolgung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit“ drohe.66 Auch die „mehrfachen Umsiedlungsaktionen“ erfolgten nach Ansicht der Gerichte lediglich „aus sicherheitspolitischen Gründen.“  

Darüber hinaus wurden die Yezidi aus dieser Region darauf verwiesen, dass sie sich in den unter kurdischer Herrschaft stehenden Gebieten ansiedeln könnten. Hier könne man selbst dann leben, wenn man keine verwandtschaftlichen Beziehungen habe. Als Yezidi fände man hier „auch außerhalb des eigenen Stammes materielle Hilfe bei anderen yezidischen Familien, sofern nicht eine Feindschaft oder Abneigung zu diesen besteht.“  In völliger Verkennung der tatsächlichen Situation in den unter kurdischer Verwaltung stehenden Gebieten des Nord-Irak gingen die Gerichte teilweise davon aus, dass „Unterorganisationen der Vereinten Nationen … Auffanglager für Flüchtlinge aus dem  Zentralirak errichtet“ hätten und die „Insassen mit allen lebensnotwendigen Gütern … versorgen,“ wobei es als ausreichend angesehen wurde, wenn eine „Versorgung mit einer täglichen Ration von fast 2.300 Kilokalorien … den Bedarf abdeckt.“  Dabei gingen die Gerichte davon aus, dass „allerdings kein Fleisch, keine Eier, kein Obst, kein frisches Gemüse“ vorhanden sind; den Menschen in den Lagern drohe aber insgesamt „keine unzumutbare Verschlechterung ihrer Nahrungsmittelversorgung“ gegenüber ihren Heimatregionen, so dass „auf der Grundlage der strengen Vorgaben der deutschen Asylrechtsprechung … eine existenzsichernde (menschenwürdige) Unterbringung im Allgemeinen gewährleistet“ sei.  

Und dafür dass im Falle „eines für möglich gehaltenen Wiedereinmarsches zentralirakischer Kräfte in den Nordirak die Lagerinsassen als Regimegegner verdächtigt würden, … fehlen“ den deutschen Verwaltungsgerichten „jegliche Anhaltspunkte,“  als ob die Truppen des Tyrannen Saddam bei ihrer kurzfristigen Besetzung der Stadt Hewler/Erbil im September 1996 nicht hunderte von dorthin geflohenen Menschen ermordet hätten.

„Allein – die ‚Flüchtlingslager der Vereinten Nationen’ … exi stieren gar nicht. … Denn was an Lagern existiert, wird nicht von den UN unterhalten, die über kein Mandat für Binnenflüchtlinge verfügen, sondern von der lokalen kurdischen Verwaltung…. Die Lager, die sie bewohnen, sind armselige Siedlungen aus Zelten und selbsterbauten Hütten, die sich in unmittelbarer Nähe zur Demarkationslinie befinden. … Regelmäßig werden diese Lager von der irakischen Seite beschossen, ohne dass die Behausungen den Bewohnern einen Schutz böten, der den Geschossen standhielte.“  „Bis auf eine Ausnahme sind diese Lager nicht zu diesem Zweck geplant, sondern zumeist Orte, an denen die ‚Ansiedlung’ von IDP (= Internal Displaced People; Binnenflüchtlinge) geduldet wird. … Zumeist bewohnen innerirakische Flüchtlinge leerstehende Gebäuderuinen (oftmals ehemalige irakische Militärgebäude). … Auch der Zugang zum Verteilungsprogramm internationaler Organisationen ist selten gewährleistet.“

Lediglich das Verwaltungsgericht Dresden ging im Jahre 2002 noch davon aus, dass aus dem Sinjar stammende Yezidi in der Heimatregion politische Verfolgung drohe und sie „mangels familiärgesellschaftlicher Beziehungen in den Nord-Irak keine inländische Fluchtalternative“ haben.
Ändern sollte sich die Haltung der deutschen Behörden gegenüber den aus dem Irak kommenden Yezidi erst, nachdem die Saddam-Diktatur gegen den erbitterten Widerstand des deutschen Bundesregierung durch den Einmarsch amerikanischer und mit diesen verbündeter Truppen beendet worden war; lief man jetzt doch bei einer Flüchtlingsanerkennung dieser Gruppe nicht Gefahr, dass ein arabischer Despot der Bundesregierung zürnte und deswegen vielleicht den Ölhahn zudrehte oder der deutschen Wirtschaft Verdienstmöglichkeiten kappte und konnte man dadurch unter dem Motto „Seht doch, unter Saddam war im Irak alles besser“ die Nichbeteiligung am Sturz der Saddam-Diktatur rechtfertigen.

Nachdem im Post-Saddam-Irak der islamistische Terror erstarkte und vor allem Christen und Yezidi unter diesem zu leiden hatten, entschloss man sich, Angehörigen dieser Gruppen, in Deutschland grundsätzlich den Flüchtlingsstatus zu gewähren. In einem Erlass verfügte das Bundesministerium des Innern (BMI) am 15. Mai 2007: „Bei der Gruppe der religiösen Minderheiten wie Christen, Mandäern und Yeziden halte ich es, auch angesichts der aktuellen Entwicklungen in der Rechtsprechung, für gerechtfertigt, jedenfalls bei der Herkunft aus dem Zentralirak oder dem Süden des Landes, grundsätzlich von einer Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure im Irak auszugehen, sofern im Einzelfall keine innerstaatliche Fluchtalternative, etwa im Nordirak, besteht. Dies dürfte bei Asylanträgen dieser Personen im Regelfall die Flüchtlingsanerkennung zur Folge haben.“

Als Folge dieses Erlasses nahm die Zahl der in Deutschland um Asyl nachsuchenden Yezidi aus dem Irak sprunghaft zu. Sowohl aus dem Irak als auch aus Schweden, das etwa zeitgleich seine Haltung zu Flüchtlingen aus dem Irak änderte und diese nicht mehr als Bürgerkriegsflüchtlinge behandelte, kamen tausende Yezidi nach Deutschland, um hier ein Bleiberecht zu erhalten.

Infolge des Erlasses wurden nunmehr zahlreiche Yezidi aus dem (Zentral-)Irak als Asylberechtigte anerkannt oder es wurde ihnen sekundärer Schutz nach dem § 60 Abs. 2 des neuen Aufenthaltsgesetzes (AuenthG) gewährt, soweit sie nicht im Rahmen der Vorschriften des sog. Dubliner Übereinkommens in andere Staaten der Europäischen Gemeinschaft zurückgeschickt werden konnten.

Selbst der Erlass des Bundesinnenministeriums, Yezidi aus dem sog. Zentralirak die Flüchtlingsanerkennung zuzugestehen, vermochte das Asylbundesamt aber nicht davon abzuhalten, in jedem Einzelfall nach – notfalls fadenscheinigen – Gründen zu suchen, wie man ein Asylgesuch trotzdem ablehnen kann. So wurde im April 2008 ein Asylantrag eines irakischen Yezidi abgelehnt, weil er angeblich nicht aus dem Irak sondern aus der ehemaligen Sowjetunion stamme. Dabei berief man sich auf ein „Gutachten“, dass „lediglich den Schluss zulässt,“ dass der Asylbewerber „aus der GUS“ stamme. Erst das Verwaltungsgericht Weimar wies in einem Urteil den „Gutachter“ und das Bundesamt zurecht:

„Wie zu diesem Ergebnis gekommen wird, bleibt völlig unklar. … Am Ende heißt es hierbei lediglich, dass diese (Lehnwörter aus dem Arabischen) verfremdet ausgesprochen werden würden und daher als angelernt betrachtet würden. Da diese Wörter ja aus einer anderen Sprache stammen und ins kurdische eingesetzt werden, wenn es hierfür keine kurdischen Wörter gibt, erscheint es zur Überzeugung des Gerichts jedoch normal, dass diese Wörter nicht arabisch sondern kurdisch ausgesprochen werden. … Dass er (der Gutachter) dieses Ergebnis auch noch mit mangelnden Kenntnissen des Asylsuchenden über seine Herkunftsregion bestätigt sieht, ohne darzulegen, woher er selbst solche profunden Kenntnisse haben könnte, spricht in diesem Zusammenhang für sich.“

Allzu lange sollte die Phase, dass man den Yezidi aus den nicht zum Bundesland Kurdistan stammenden Regionen den Flüchtlingsstatus zuerkannte nicht dauern. Im Sommer 2009 kam es erneut zu einem Wechsel der Anerkennungspraxis bezüglich der irakischen Yezidi. „Nach eingehender Prüfung wurde der Grundsatz der Gruppenverfolgung im Falle der yezidischen Minderheit aus dem Irak aufgegeben“  teilte die Sprecherin des Asylbundesamtes auf eine entsprechende Nachfrage eines Yezidi aus der Region Hannover mit, was inhaltlich zur Folge hat, dass nur noch Yezidi, die im konkreten Einzelfall nachweisen, dass sie verfolgt worden sind, damit rechnen können, dass das Bundesamt ihre Asylanträge positiv bescheidet.

Darüber hinaus müssen die meisten Yezidi aus dem Irak, die in den letzten Jahren als Asylberechtigte anerkannt worden sind oder denen Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 2AufenthG gewährt worden ist, nunmehr damit rechnen, dass diese Anerkennung auf Grund der in § 73 Abs. 2 a des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) nach Ablauf von drei Jahren vorgesehenen Überprüfung widerrufen wird.  



Anmerkungen

Urteil des Oberverwaltungsgerichts Saarlouis vom 25.10.2000, Az. 9 R 12/98
Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 26.06.2001, Az. 5 A 479/01 As
Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 26.02.2002, Az. 13 K 4713/00.A, Seiten 14f
Urteil des Oberverwaltungsgerichts Magdeburg vom 08.08.2002, Az. 1 L 269/01
Urteil des Oberverwaltungsgerichts Magdeburg vom 08.08.2002, Az. 1 L 269/01
Uwer, Thomas, „Asylrechtlich ausreichend“; in: KONKRET Nr. 12/2002, Seite 27
WADI, e.V. (Uwer, Thomas); Stellungnahme zur Sicherheits- und Versorgungslage von Binnenflüchtlingen und Vertriebenen im kurdischen Nordirak vom 18.11.2002
Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 04.02.2002, Az. 14 K 30937/99
Erlass des Bundesministeriums des Innern (BMI) vom 15.05.2007, Az. M I 4 – 125 421 IRQ/O; zitiert nach: Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 13.07.2007, Az. 13 K 3238/06.A, Seiten 8 f und Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 28.11.2008, Az. 13 K 1365/08.A, Seite 12
Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 18.02.2009, Az. 5 K 20063/08 We, Seite 15
Antwort der Pressesprecherin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge an Said Pirmurat; veröffentlicht auf der Internet-Seite www.khanesor.com/modules