Teil 2: Yezidi aus Syrisch-Kurdistan
von Johannes Düchting
Nach der Zerschlagung des Osmanischen Reiches konnten die Yezidi in Syrien zunächst unter dem französischen Protektorat unbehelligt leben und ihre Religion ausüben. Auch Schulen und Gemeindezentren konnten sie gründen.
So wurde 1927 in Kibar eine yezidische Schule gegründet, zwei Jahre später folgte eine Schule in Kastai. Spannungen zwischen der moslemischen kurdischen Bevölkerung und den Yezidi tauchten insbesondere in der Region um Haleb (Aleppo) kaum auf, da die dortige moslemische Bevölkerung nicht allzu religiös geprägt war.Die Lage der Yezidi änderte sich aber erheblich, nachdem sich die französische Kolonialmacht aus dem Land zurückgezogen hatte und Syrien insbesondere als Folge der kriegerischen Auseinandersetzungen mit Israel sich mehr und mehr als arabisches und islamisches Land betrachtete. Das seit Jahrzehnten in Syrien herrschende Baath-Regime gibt sich zwar offiziell als weltlich aus und § 35 der syrischen Verfassung gewährleistet die Glaubensfreiheit für alle Religionen. Dennoch betreibt das Regime, dessen Herrscherfamilie der Assads selbst der religiösen Minderheit der alewitischen Nusairier angehört, nicht allen religiösen Gruppen gegenüber eine ausgeglichene Minderheitenpolitik, sondern lediglich gegenüber den beiden einflußreichsten Minderheiten der Nusairier und Christen, deren politischen und wirtschaftlichen Eliten viele Sonderrechte zukommen. Da die Yezidi keine Lobby haben, sind sie offiziell nicht als religiöse Minderheit anerkannt und haben somit auch trotz der „Glaubensfreiheit“ keinerlei Rechte.
Die Yezidi in Syrien sind neben der religiösen Diskriminierung vor allem aber Opfer der Arabisierungspolitik der Machthaber in Damaskus und teilen das Schicksal sämtlicher in Syrien lebender Kurden. Wie vielen islamischen Kurden wurde 1962 auch zahlreichen yezidischen Kurden (etwa 20 – 25 %) im Distrikt Hassake die syrische Staatsbürgerschaft entzogen. Sie und ihre Nachkommen, das sind inzwischen etwa 60 % der hier lebenden Yezidi, gelten seitdem offiziell als staatenlos.
Die staatenlosen Kurden in Syrien, deren Gesamtzahl der UNHCR auf insgesamt etwa 200.000 schätzt, setzen sich aus zwei etwa gleich großen Gruppen zusammen: den Ausländern bzw. „Ajanib“ und den Nichtregistrierten bzw. „Maktumin“. Den Ajanib wurde meist im Jahre 1962 die Staatsangehörigkeit entzogen; ihre Daten sind im Ausländerregister in Syrien gespeichert, sie erhalten ein spezielles orange-farbiges Ausweispapier. Bei den Maktumin handelt es sich um Kurden, die nach bislang nicht überprüfbarer Auskunft der syrischen Regierung nach der Volkszählung von 1962 illegal nach Syrien eingereist seien. Die Maktumin sind in keinem offiziellen Register erfasst, sie können sich lediglich – in einem langwierigen Verfahren und zumeist nur gegen Bezahlung von hohen Bestechungsgeldern – ein sog. Erkennungszeugnis („Shahada Tahrit“) besorgen.
Bei der Staatenlosigkeit handelt es sich um eine besonders subtile Verfolgung, die für die von ihr betroffenen Kurden und Yezidi weitreichende soziale und wirtschaftliche Folgen hat. Es wird ihnen unmöglich gemacht, die in der syrischen Verfassung (zumindest auf dem Papier) garantierten bürgerliche Rechte wahrzunehmen. Sie dürfen die vom Staat subventionierten Lebensmittel nicht erhalten, haben kein Wahlrecht, kein Recht auf Eigentum, kein Erbrecht, haben keinen Anspruch auf Behandlung in öffentlichen Krankenhäusern, kein Recht auf Ausreise, dürfen nicht im öffentlichen Dienst beschäftigt werden, dürfen die syrischen Hochschulen und Fachhochschulen nicht besuchen und erhalten keine Reisepässe.
Das fehlende Recht, Eigentum besitzen und erwerben zu dürfen, hat negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation der yezidischen Gemeinschaft in der Region Hassake. Die auf gemeinschaftlicher landwirtschaftlicher Produktion und gegenseitigen Tauschbeziehungen basierende Wirtschaft ist auf Grundeigentum angewiesen. Die Nicht-Gewährung dieses Rechtes, verbunden mit Landenteignungen, gefährdet die wirtschaftliche Basis der Yezidi in großem Maße.
Heute stellt sich die Situation der Yezidi in Syrien ähnlich dar, wie vor einigen Jahrzehnten in der Türkei. Beleidigungen, Beschimpfungen und Schmähungen sind an der Tagesordnung. Selbst Räubereien und Schläge kommen vor. Immer mehr Yezidi nahmen die Situation in ihren Heimatorten zum Anlass, nach Europa und hier vor allen Dingen nach Deutschland zu fliehen. Ähnlich wie in der Türkei waren es auch in Syrien oftmals die yezidischen geistlichen Würdenträger, die als erstes ihre Heimatorte verließen. Eine Reihe von yezidischen Dörfern ist deswegen inzwischen ohne Betreuung durch Sheikhs oder Pire, was letztendlich die Lage der verbliebenen Bevölkerung ebenfalls verschlechtert. Zurück bleiben die ärmsten unwissenden Yezidi, die keine Beziehungen haben, ihrer religiösen Führung beraubt sind und nun wehrlos den Angriffen der moslemischen Umgebung ausgesetzt sind.
Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ machte sich im Jahre 2002 die Mühe, das Schicksal eines yezidischen Flüchtlings aus Syrien nachzuzeichnen:
„Suleimanija ist ein steiniges, graues Wüstendorf im Nordosten Syriens. Gut 150 Familien wohnen hier, auch die von Chalid. Hier ist er aufgewachsen, als Sohn kurdischer Bauern, denen einmal ein Stück Land gehörte. Früher. Das weiß Chalid aus den Geschichten seines Großvaters, der ihm oft aus jener Zeit erzählte, bevor die muslimische Regierung seine Familie enteignete, weil sie die falsche Religion hat: Chalid ist Jezide. … ‚Für die Araber sind wir Ketzer und Heiden, … bestenfalls gut genug für Sklavenarbeit. Nur wenn wir Glück hatten, bekamen wir Lohn.’ …
Der schweigsame Händler hatte etwas Kostbares im Angebot. Die Zukunft. Eine Reise in die Zukunft kostete 150 000 syrische Pfund, gut 3200 Euro. Alles würde gut, mindestens würde es besser in der Zukunft, flüsterte der Händler. Und dann fiel das Zauberwort: Deutschland. Das gelobte Land.
Die Schleuser konfiszieren die Pässe, und die Tour endet in einer Kleinstadt, von der Chalid nicht weiß, wie sie heißt, und auch nicht, in welchem Land sie liegt. … Die Flüchtlinge werden gefilzt. Kleinste Gegenstände, die auf ihr Heimatland Syrien hindeuten könnten, ob Kopfschmerztabletten, Kinderbonbons oder Parfüm, nehmen ihnen die Retter und Peiniger ab. … Und nun endlich sehen sie das Schiff. Ihr Schiff. … Chalid legt das Geld auf den Tisch, insgesamt 450 000 syrische Pfund, ein sehr dickes Bündel. Nachdem der Schleuser die Scheine gezählt hat, nickt er kurz. …
Über 900 Menschen hocken nun hier und warten. Und dann beginnen die Maschinen zu rumpeln – der Menschenfrachter hat Kurs auf Europa genommen. Für die 909 Passagiere gibt es genau einen Wasserhahn. Die Leitung wird täglich für zwei Stunden aufgedreht, eine Stunde abends, eine Stunde morgens. Wer nichts kriegt, hat Pech. Wer etwas kriegt, auch. Denn das Wasser schmeckt stark nach Diesel, und es dauert keinen Tag, bis die Ersten krank sind. Zu essen bekommt jeder Passagier das Viertel eines Fladenbrots.
Es ist laut dort unten im Laderaum und stickig. Über 900 Menschen schwitzen und reden gleichzeitig, Babys schreien, viele erbrechen sich. Den Weg zur einzigen Toilette, über die Körper der anderen hinweg, schafft kaum einer. Das Betreten des Decks ist verboten. … Dann setzt auf hoher See die Maschine aus. Eine schwangere Frau bekommt ihre Wehen. Passagiere werden panisch, sie schreien, sie rennen herum und treten anderen auf Hände und Füße, ein Mann verlangt nach einem Arzt, nach Essen und den versprochenen Zigaretten. …
Als die Passagiere die ‚Monica’ verlassen, sind die Deutschen längst da. Verbindungsbeamte des BKA sind angereist. … Schily hat schon mal die römische Regierung gebeten, sie möge ‚Monica’-Flüchtlinge, die in Deutschland auftauchten, ’unbürokratisch’ zurücknehmen. Schily sieht sich dabei im Recht. Das 1997 in Kraft getretene Dubliner Übereinkommen sieht vor, dass illegal eingereiste Asylsuchende in das Land zurückgeschickt werden können, in dem sie erstmals europäischen Boden betreten haben. Doch die Praxis ist komplizierter. … Die Italiener hatten versprochen, die Fingerabdrücke der Flüchtlinge zu liefern, damit diese bei Kontrollen sofort zu identifizieren sind. Aber dieser Teil der europäischen Zusammenarbeit funktioniert nicht. Die Deutschen warten vergebens. …
Italienische Polizisten setzen Chalid, Sina und Amir in der Nähe des Hauptbahnhofs von Bari ab. ‚Wo sollen wir denn hin?’ fragt Chalid. Die Carabinieri zucken die Schultern und fahren weg. Zwei Tage lang kampieren die Flüchtlinge auf dem Bürgersteig vor dem Bahnhof. Dann spricht Chalid plötzlich ein Mann auf Kurdisch an ‚Seid ihr von dem Boot?’ ‚Ja’, antwortet der. ‚Dann bringen wir euch jetzt nach Deutschland.’ Der blau-weiße Bus fährt am Abend. Mehr als 30 Menschen sitzen darin, die Vorhänge zugezogen….
Als Chalid im Morgengrauen des 25. Mai wachgerüttelt wird, sind kaum noch Leute im Bus. ‚Ihr müsst hier raus’, zischt der Fahrer und öffnet die Tür. … Kaum sind die drei im Freien, gibt der Schlepper Gas. ‚Ist das schon Deutschland?’ fragt sich Chalid – und wartet. Die Antwort bekommt er vier Stunden später. Von einem Beamten der Polizeiautobahnwache Bramsche. … ‚Alemania.’“
Auch bezüglich der Yezidi aus Syrien sind die bundesdeutschen Behörden und Gerichte nicht bereit, ihnen Asyl zu gewähren. Wie schon hinsichtlich der Yezidi aus der Türkei heißt es – auch hier zum größten Teil auf die Gutachten des Auswärtigen Amtes gestützt – in den Bescheiden und Urteilen, dass die Yezidi dort unbehelligt leben könnten. Wieder ist man nicht bereit, den Schilderungen der Yezidi Glauben zu schenken; oftmals wird seitens der Entscheider den Yezidi nicht einmal die Möglichkeit gegeben, ihr Schicksal darzustellen:
„Es wird nicht verkannt, dass aus Sicht des unbefangenen Dritten einige Verfolgungsgeschichten … oberflächlich geschildert sein mögen. Auffällig ist allerdings die zum Teil vom Bundesamt nur sehr geringfügige Aufklärung der Fälle. Zum Teil kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Einzelentscheider bereits mit einer festgelegten Auffassung zur Situation der Yeziden die Anhörung vornehmen. Einige Protokolle umfassen drei bis vier Seiten, wobei sich die Hälfte des Protokolles dann auch noch dem Fluchtweg widmet.“
Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, die dann auf Grund der Rechtsmittel des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten durch die Obergerichte dann meist doch aufgehoben wurden, wurden Asylanträge von Yezidi aus Syrien, Armenien, Georgien und dem Irak – zumeist mit dem Hinweis darauf, dass das Auswärtige Amt keinerlei Verfolgung festgestellt habe – abgelehnt.
So heißt es in Urteilen zu aus Syrien geflohenen Yezidi, dass es zwar einzelne Diskriminierungen gebe, diese aber zu erdulden seien, dass aber „ungeachtet einzelner moslemischer Übergriffe … mangels Verfolgungsdichte … eine Gruppenverfolgung“ nicht vorliege (unjuristisch gesagt: dass noch nicht genügend Yezidi Opfer von Verfolgung geworden sind) oder man der Verfolgung durch Übersiedlung in eine „sichere Fluchtalternative“ entgehen könnte:
„Ein Asylanspruch der Kläger ergibt sich zunächst nicht aus der behaupteten Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden yezidischen Glaubens. Zwar decken sich die von den Klägern in der mündlichen Verhandlung dargelegten Benachteiligungen (Landwegnahme, Ungleichbehandlungen gegenüber Arabern, Vorenthaltung der syrischen Staatsangehörigkeit und von Ausweispapieren) mit denjenigen Schilderungen von Diskriminierungen gegenüber yezidischen Kurden (die, wie hier vorgetragen, aus der Türkei nach Syrien eingewandert sind), die dem Gericht zu Gebote stehenden Erkenntnisse über diese Bevölkerungsgruppe zu entnehmen sind.
Trotz der genannten Diskriminierungen und auch in Anbetracht des Umstands, dass Übergriffe privater Dritter gegenüber den Yeziden dem syrischen Staat zuzurechnen sind, steht jedoch bei der Berteilung der Verfolgungsgefahr gebotenen ‚qualifizierenden Betrachtungsweise’ der Annahme einer im Zeitpunkt der Ausreise der Kläger (im September 1990) bestehenden oder drohenden mittelbar staatlichen Gruppenverfolgung der Yeziden jedenfalls entgegen, dass die hierfür erforderliche ‚Verfolgungsdichte’ auch unter Berücksichtigung der feststellbaren bzw. zu unterstellenden ‚Referenzfälle’ nicht gegeben war.
Die Kläger können sich auch nicht auf eine im Zeitpunkt ihrer Ausreise aktuelle oder drohende, unmittelbar staatliche Gruppenverfolgung berufen, so dass sie auch insoweit nicht als vorverfolgt Ausgereiste zu qualifizieren sind. Es läßt sich nämlich aus keiner der zur Verfügung stehenden Quellen entnehmen, dass in Syrien im Zeitpunkt der Ausreise der Kläger eine an die schlichte Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Yeziden anknüpfende asylerhebliche staatliche Gruppenverfolgung stattgefunden hat oder drohte. Auf Grund der Minderheitenpolitik der ‚langen Leine’ genießen religiöse Minderheiten einen relativ weiten Freiraum; Vereinigungen religiöser Minderheiten werden geduldet, soweit sie sich auf die Pflege von Sprache, Kultur und Brauchtum beschränken.
Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass speziell im Fall der Yeziden etwas anderes gelten sollte, ist den Erkenntnissen nicht zu entnehmen, insbesondere sind asylerhebliche staatliche Eingriffe in das ‚religiöse Existenzminimum’ der Yeziden nicht gegeben. Die insoweit zu würdigenden, alle Yeziden betreffenden staatlichen Maßnahmen auf dem Gebiet des Personenstandsrechts und des Schulwesens greifen weder in die private Religionsausübung ein noch zerstören sie den für die Vornahme religiöser Kulthandlungen erforderlichen Gruppenzusammenhalt und die Verbindung mit der zuständigen Priesterfamilie.“
„Für eine politische Verfolgung durch den Staat Syrien haben die Beigeladenen nichts vorgetragen. Soweit sich die Beigeladenen auf Benachteiligungen durch die arabische Bevölkerung berufen, bleiben die behaupteten Belästigungen durch die Araber deutlich unter der Schwelle zur Asylrelevanz, unabhängig von der Frage, ob insoweit überhaupt ein mittelbare staatliche Verfolgung in Betracht kommt. Eine bloße Unterdrückung durch die sunnitische muslimische Mehrheitsbevölkerung sowie Beleidigungen und Beschimpfungen, namentlich in Ansehung der ausgeübten Religion, haben mit einer Verfolgung im Sinne von Art. 16 a Abs. 1 GG bzw. des § 51 Abs. 1 AuslG nichts zu tun. …
Den Yeziden ist es nach sämtlichen Erkenntnissen, die der Kammer zur Verfügung stehen (…), möglich, ihre Religion im häuslich-privaten Bereich sowie im nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich auszuüben. Durch die bloße Teilnahmepflicht am islamischen Religionsunterricht bleibt das oben näher beschriebene religiöse Existenzminimum unberührt. Diese ist nämlich keineswegs gleich bedeutend mit der Pflicht, sich zum Islam zu bekennen. …
Nach der … Stellungnahme des Yezidischen Forums e.V. Oldenburg … werden für den Zeitraum 1990 bis 1999 u.a. 12 Entführungen und insgesamt 77 Verfolgungsschläge für den gesamten Bereich der Yeziden angegeben. Für die kurdischen Yeziden sind die Verfolgungsschicksale deshalb – unabhängig von der Tragik des Einzelschicksals – nicht so dicht gestreut, dass für jedes Gruppenmitglied die Furcht begründet ist, in eigener Person Opfer der Übergriffe zu werden.“
Durchaus vorkommende „Maßnahmen der moslemischen Bevölkerung (u.a. Beschimpfungen, Beleidigungen, Hänseleien, Schikanierungen)“ hätten „nach ihrer Intensität und Dauer das asylrechtlich relevante Maß nicht erreicht.“
Auch dass heiratswillige Yezidi in Syrien gezwungen werden, den islamischen Eheritus zu vollziehen, das heißt ein Bekenntnis zum Islam abzulegen, und dass schulpflichtige yezidische Kinder am islamischen Koranunterricht teilnehmen müssen, stellt für die deutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit „ebenfalls keinen asylrechtlich relevanten Eingriff in das religiöse Existenzminimum dar.“
Lediglich das Verwaltungsgerichts Magdeburg war bereit zuzugeben, dass in der Region Hasseke in Syrien für jeden Yezidi „die Gefahr besteht, selbst bald Opfer von Übergriffen zu werden“ und dass für die Yezidi aus dieser Region „eine inländische Fluchtalternative in den Großstädten Aleppo und Damaskus ausscheide“ ebenso wie „im Afrin-Gebiet, weil auch dort das wirtschaftliche Existenzminimum nicht Gewähr leistet ist.“ Seitens des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt werden diese anerkennenden Urteile aber auf die Berufung des Bundesbeauftragten regelmäßig aufgehoben.
Nur Yezidi aus Syrien, die staatsrechtlich gesehen die türkische Staatsangehörigkeit haben, wurde von einigen Verwaltungsgerichten Asylrecht zugestanden oder Abschiebungsschutz hinsichtlich der Türkei gewährt. Letzteres hält zahlreiche Ausländerbehörden allerdings nicht davon ab, trotz der fehlenden syrischen Staatsangehörigkeit die Abschiebung dieses Personenkreises nach Syrien zu versuchen. Auch wird derartigen Yezidi seitens des Asylbundesamtes oftmals die Abschiebung nach Syrien angedroht. Sanktioniert wird ein solches Verhalten durch Entscheidungen von Verwaltungsgerichten, die davon ausgehen, dass „Syrien … für aus der Türkei stammende Kurden jesidischen Glaubens ein sicherer Drittstaat“ sei. Da Syrien allerdings in Fällen, in denen es auch schon zuvor nicht bereit war, die syrische Staatsangehörigkeit zu gewähren, oftmals nicht zur „Rücknahme“ yezidischer Kurden bereit ist, erhält ein Teil dieser Yezidi schließlich Aufenthaltsbefugnisse (mit einem Ausweis nach dem Staatenlosen-Abkommen) oder Duldungen.
Inzwischen werden aber auch Asylanträge dieses Personenkreises abgelehnt oder gewährte Asylberechtigungen mit der Begründung widerrufen, in der Türkei sei für Yezidi ein verfolgungsfreies Leben möglich.
Bis zum Jahre 2008 folgte der Ablehnung des Asylantrages bei aus Syrien geflohenen Yezidi nicht unbedingt die Abschiebung. In vielen Fällen weigerten sich die syrischen Behörden schlicht, den Personen, die die deutschen Behörden abschieben wollten, Passersatzpapiere auszustellen. Begründet wurde dieses schlicht und einfach damit, dass diese Personen keine syrischen Staatsangehörigen seien. Diesem Personenkreis wurde von den Ausländerbehörden meist eine mehr oder weniger kurz befristete Duldung erteilt, auf Grund derer man zwar in Deutschland bleiben kann, bei weitem aber nicht die Rechte hat, wie sie Personen mit einer Flüchtlingsanerkennung oder einem gefestigten Aufenthaltstitel haben. Zwar war man auf Grund dieser Duldung vor akut drohender Abschiebung sicher, eine Integration in die deutsche Gesellschaft war aber faktisch unmöglich, zumal zahlreiche Ausländerbehörden alles daran setzten, die syrischen Behörden zur Ausstellung von Papieren zu überreden, die eine Abschiebung ermöglichten. Die Bundesregierung ging davon aus, dass im Juni 2006 in Deutschland 8.354 ausreisepflichtige syrische Staatsangehörige lebten; Angaben zur Zahl der Staatenlosen bzw. Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit aus Syrien liegen nicht vor, über die Volks- und Religionszugehörigkeit der Abgeschobenen machte die Regierung keine Angaben. da zu diesem Personenkreis feststehende oder vermutete Herkunftsländer im Ausländerzentralregister nicht erfasst werden. Auch ist nicht bekannt, wie viele der aus Syrien stammenden Ausländer, die an und für sich ausreisepflichtig sind, Yezidi sind. Im Jahre 2008 wurden nach Angaben der Bunderegierung gerade einmal 43 Personen nach Syrien abgeschoben;
Eine grundlegende Änderung der aufenthaltsrechtlichen Situation der aus Syrien stammenden Yezidi trat allerdings Anfang 2009 ein. Am 03. Januar des Jahres traten das am 14.Juli 2008 unterzeichnete bilaterale Rückübernahmeabkommen zwischen Deutschland und Syrien sowie das Protokoll zu dessen Durchführung in Kraft. Die Vereinbarung ermöglicht es den deutschen Behörden, sowohl ausreisepflichtige syrische Staatsangehörige als auch aus Syrien stammende Drittstaatsangehörige (also auch Personen, die völkerrechtlich die türkische Staatsangehörigkeit haben) und Staatenlose nach Syrien zurückzuführen. Zum Nachweis, dass Angehörige der letzten beiden Personenkreise unmittelbar vor ihrer Einreise nach Deutschland durch Syrien durchgereist sind, nach Syrien eingereist sind oder sich in Syrien aufgehalten haben, lässt das Übereinkommen auch die „Glaubhaftmachung durch Zeugenaussagen“ oder Kopien von Identitätsnachweisen gelten.
Es ist deswegen davon auszugehen, dass nunmehr zahlreiche Ausländerbehörden versuchen werden, sich der Yezidi zu entledigen, die man über Jahre nicht nach Syrien abschieben konnte. Bereits in jüngster Vergangenheit gingen einige Ausländerbehörden zum Nachweis des Aufenthaltes in Syrien oder zur Beschaffung von Identitätsnachweisen ungewöhnliche Wege, „indem sie Privatpersonen (unter anderem einen Ingenieur und einen Dolmetscher) mit Ermittlungsreisen nach Syrien beauftragten oder syrische Rechtsanwälte mit der Beschaffung von Personenstandsurkunden, Fotos oder Zeugenaussagen beauftragten und hierfür oft mehrere tausend Dollar bezahlten.“ Es ist zu befürchten, dass seitens der Ausländerbehörden diese Praxis fortgesetzt wird und dass den von Abschiebung Bedrohten ein Gegenbeweis mangels Zugang zu unabhängigen Experten oft nicht möglich sein wird.