von Virginia Apel
Hatun Tuku, Zwischen zwei Welten – Die Geschichte einer Jesidin in Deutschland
Berlin: Pro Business 2009
ISBN 687-3-86805-293-0
Es ist ein grauer Dienstagmorgen im Oktober. Hatab Abduslo und ich treffen uns mit der Autorin Hatun Tuku im Garbsener Stadtzentrum bei ihrer Frauengruppe „Neuland“. Wir sind gespannt. Mutter und Kleinkinder sitzen am Tisch zusammen mit aufgeschlagenen deutschen Lehrbüchern; der heiße Tee und exotische Süßigkeiten sind äußerst einladend am kalten Herbstmorgen: hier wird Deutsch gelernt! Frau Hatun Tuku, Gründerin der Gruppe, die gerade ihr 7-jähriges Jubiläum feiert, stellt sich vor:
VA: Frau Taku, ich habe gehört, daß Sie Buchautorin sind. Darf ich zuerst fragen, wie ihr Buch heißt?HT: „Zwischen zwei Welten – Die Geschichte einer Jesidin in Deutschland“
VA: Was ist dann Ihre Lebensgeschichte?
HT: Ich bin Ezidin und stamme aus einem Dorf in Südost-Anatolien (auf dem Staatsgebiet der Türkei) and kam als 20-jährige aufgrund meiner Verheiratung im Jahre 1987 nach Celle.
VA: Hatten Sie vorher eine Ausbildung oder haben Sie einen Beruf gelernt?
HT: Nein. In meiner Heimat ist es normal, daß Mädchen keine Oberschul- oder Berufsausbildung bekommen, da unsere Familien Angst vor der Islamisierung haben und sich um unsere Sicherheit sorgen. Frauen in Anatolien haben grundsätzlich keine Ausbildung – wenn überhaupt ist es nur Grundschule.
VA: Kamen Sie zurecht mit der neuen Sprache und den fremden Lebensumständen?
HT: Nein. Nach den großen Erwartungen fand ich mich wieder in einem Dorf – isoliert in engen Wohnverhältnissen und unter starker sozialer Kontrolle ohne jede Möglichkeit, außerhalb meiner Familie oder meines heimatlichen Volkskreises Begegnungen mit deutschen Nachbarn zu machen. Das Angebot an Sprachkursen und Integrationsmitteln, das wir jetzt kennen, existierte noch nicht.
VA: Und Sie sind Mutter?
HT: Ja, ich habe fünf Kinder. Und Kinder sind sicher das Wichtigste von allem, was wir haben. Aber während meiner Zeit in Celle, da es auch gesundheitlich nötig war, entschied ich mich, etwas für mich zu tun und habe dabei meine Leidenschaft für den Sport gefunden. Ich habe mich einer Marathonlaufgruppe angeschlossen und zum ersten Mal Kontakt gehabt mit gebildeten Leuten aus verschiedenen Kreisen und Berufen. Da war meine Seele – so wie mein Körper – endlich stark und frei. Ich habe seitdem öfters erfolgreich an Wettlaufen teilgenommen. Die kurzen Hosen zu akzeptieren war am Anfang ein Problem für manche aber inzwischen ist auch mein Man damit einverstanden.
VA: Was haben sie vor mit ihren Frauengruppen? Es sind zwei verschiedene Gruppen.
HT: Seit drei Jahren habe ich in Zusammenarbeit mit dem ökumenischen Sozialprojekt „Neuland“ in Garbsen, Frauen aus „Migrationshintergründen“ aufgerufen, „neue Frauen“ zu sein – sich stark zu machen für ihre Familien und auch für sich, und ihre Talente zu entdecken und zu fördern, auch wenn sie vielleicht schon zu alt sind, eine neue Sprache zu lernen.
Dazu braucht man auch einen starken Willen: „man kann sein Brot kaufen, aber es geht nicht von allein runter“ sagt man. Es muß gekaut und geschluckt werden. Nach dem monatlangen Training für einen Marathonlauf, oder wie jetzt, für Mountain Biking Tours, weiß ich wovon ich rede! Aber es lohnt sich!
VA: Machen Sie auch jetzt etwas beruflich?
HT: Mit Hilfe der „Grünen“, habe ich eine Ausbildung als „individuelle Beraterin“ bei der „Kargah“ e. V. (Verein für interkulturelle Kommunikation, Migrations- und Flüchtlingsarbeit) in Hannover gemacht. Heute mache ich internationale Lebensberatung auf Kurdisch, – oder Deutsch. Ich bekomme auch zahlreiche Anrufe von deutschen Frauen und Mädchen, die Hilfe bei Liebeskummer, Familien, und Beruf suchen. Ich möchte jetzt verschiedene Dienste in meinen Gruppen anbieten: Übersetzungen, Mentoring, Networking, Beratung für Existenzgründung oder Berufsausbildung, sowie ein Arbeits-Netzwerk für Frauen, wo unsere Fähigkeiten in der Schneiderei, beim Kochen, oder bei den graphischen Künsten, z. B., zur (finanziellen) Geltung kommen können.
VA: Was sind die zwei Gruppen?
HT: Am Dienstag ein trifft eine internationale Gruppe von Frauen u. a. aus Sri Lanka, Polen, Rußland, Iran, der Türkei. Jede Frau erzählt Ihre Geschichte und wir schreiben das auf in einem Heft. Wir haben auch ein internationales Kochbuch geschrieben.
VA: Das hätte ich gerne!
HT: Und am Mittwoch trifft sich eine Gruppe von kurdisch-ezidischen Frauen.
VA: Wir hätten Sie und ihre starken Frauen gerne in unserem Kreis Hannover! Was sagen Sie dazu? Möchten sie gerne Mitglied in der Ezidischen Akademie werden?
TH: Ich finde Ihre Initiative sehr gut – doch ich bleibe lieber frei – nicht gebunden an zu vielen Gruppen. Ich werde es aber überlegen!
VA: Wir bleiben im Kontakt. Im Namen der Ezidischen Akademie wünsche ich Ihnen allen viel Erfolg und ich bedanke mich ganz herzlich für das sehr motivierende Gespräch!